Mormonen und die Vielehe
Die Entstehung
Das Verbot
Die heutige Auslegung und Neuerungen
In den christlichen Ländern ist die Einehe
schon seit langer Zeit die Norm. So heiratete auch Joseph Smith am 18. Januar
1827 Emma Hale, Tochter von Isaac Hale, der seiner Tochter die Heirat mit einem
Schatzsucher verbot, so daß sich Joseph mit Emma auf und davon
machte, um sie heiraten zu können, was damals auch noch als ungebührlich
galt. Nun gut, heute lächeln wir über so etwas. In der Kirche
geht das Gerücht um, daß Joseph Smith bereits 1831, also ein
Jahr nach Gründung der Kirche, eine Offenbarung zur Vielehe bekommen,
diese aber für sich behalten hat. Das offizielle Datum einer solchen
Offenbarung, die in LuB 132 zu finden ist, ist der 12. Juli 1843. Das ist
auch wieder sehr interessant, weil in der offiziellen Kirchengeschichte
vermerkt ist, daß er am 5. Oktober 1843 noch Leute vor Gericht stellen
lassen hat, die diese Lehre predigten (HC
6:46 / LdPJS Seite 330).
Tatsächlich fand dieser ominöse Abschnitt 132 erst 1876 Eingang
in das offizielle Schrifttum des Rocky-Mountain-Ablegers der bereits zersplitterten
Mormonenkirche. Zuvor war das Ehegesetz im
Abschnitt 101 oder Section CI
niedergelegt, das bis dahin allerdings die Einehe gebot und die Vielehe als Verbrechen
bezeichnete.
Zu erkennen ist jedenfalls, dass Polygamie keine wirklich neue Lehre war. Der Grund
ist auch ganz einfach. Es ist verbürgt, daß bereits im Jahre 1835 im Haus
von Joseph Smith ein Mädchen namens Fanny Algers, damals 16 Jahre alt, lebte.
Es folgten noch eine Vielzahl solcher Beziehungen, Heiratsangebote an
Mädchen bis hinunter zu 12 Jahren, sexuelle Beziehungen mit Mädchen
ab 14 Jahren und Frauen anderer Männer usw., so daß eine solche
Offenbarung keine Überraschung für die Mitglieder war. (Sobald
ich die Gelegenheit hatte, das eingehender zu studieren, wird dieser Abschnitt
detailliertere Angaben enthalten.)
Diese Praxis stieß natürlich bei den den christlichen Nachbarn
auf Ablehnung, besonders durch die Furcht, ihre eigenen Töchter an
solche Männer zu verlieren, so daß es dadurch zu Unstimmigkeiten
kam. Obwohl die Offenbarung dieses Gebot als himmlisch und ewig gültig
beschreibt, lebte nur ein kleiner Bruchteil der Mitglieder in Vielehe.
Da die gesellschaftliche Norm klar war, war zu diesem Zeitpunkt diesbezüglich
noch nichts im Gesetz der Vereinigten Staaten festgeschrieben. Das änderte
sich Jahre später, womit diese Praxis nicht mehr nur gegen eine gesellschaftliche
Norm, sondern auch gegen das Gesetz verstieß.
Die Mitglieder der Kirche, die mittlerweile im
Salzseetal im Landstrich Utah in den Rocky Mountains wohnten, wollten gern
ein Teil der Vereinigten Staaten werden. Da sich die Kirchenführung
weigerte, das Gesetz über die Einehe anzuerkennen und bis zur letzten
Instanz versuchte, es für ungültig erklären zu lassen, verzögerte
sich der Eintritt in die Föderation, bis Wilford
Woodruff als Präsident der Kirche am 24. September 1890 das sogenannte
Manifest aufsetzte, das das Verbot der Schließung und Ausübung
von Vielehen zum Inhalt hatte, und das am 6. Oktober 1890 offiziell angenommen
wurde.
Dennoch hielten sich sehr wenige Mitglieder in Vielehe an dieses Gebot
und zogen es vor, nach Mexiko umzusiedeln. Um politisch akzeptabel zu bleiben,
achtete die Kirche aber darauf, daß in Utah keine Vielehen mehr geschlossen
wurden. Wie wenig die Kirche wirklich für die Gesetzestreue tat, zeigt
sich an der Auflehnung von Joseph
F. Smith dagegen, und daß er trotzdem Präsident der Kirche
wurde.
Bei der Vielehe war es immer nur dem Mann erlaubt,
mehrere Frauen zu ehelichen, aber nicht umgekehrt. Trotz des Verbotes der
Vielehe wird auch heute noch gelehrt, daß es sich um ein himmlisches
Gebot handelt, das später einmal gelebt werden wird, die frühen
Kirchenführer implizierten sogar, daß es keine Erhöhung
ohne Vielehe geben wird, auch wenn dieses Gesetz zur Zeit nicht gelebt
wird. Entsprechend konnten in den Tempeln schon immer mehrere Frauen an
einen Mann gesiegelt werden, seit dem Verbot durfte eben nur noch eine
davon leben. Entsprechend größer ist der psychologische Druck
auf Frauen, falls es zu einer Ehescheidung kommt, aber das ist ein anderes
Thema. Mit den Änderungen in den Tempelzeremonien im Jahre 1990 hat
sich hier nun Entscheidendes getan. So ist es jetzt unter bestimmten Umständen
auch für Frauen möglich, an mehr als nur einen Mann gesiegelt
zu werden.
Man kann also sehen, daß ein Thema, das seit Jahren totgeglaubt
und -geredet scheint, in Wirklichkeit noch quicklebendiger Natur ist
und Änderungen unterworfen ist, die sich zwar wie alles in der Kirche
heutzutage sehr langsam, aber doch stetig entwickeln.
mormonentum.de