Der Name der Kirche
Viele Mormonen, besonders die Mitglieder der HLT-Kirche, fühlen, daß die
wahre Kirche den Namen Christi tragen müsse. Grundlage für diese Annahme
liefert auch hier das Buch Mormon:
Und wie soll es meine Kirche sein, wenn sie nicht nach meinem Namen genannt
wird? Denn wenn eine Kirche nach dem Namen des Mose genannt wird, dann ist sie die
Kirche des Mose, oder wenn sie nach dem Namen eines Menschen genannt wird, dann ist
sie die Kirche eines Menschen; wenn sie aber nach meinem Namen genannt wird, dann
ist sie meine Kirche, wenn sie auf mein Evangelium gebaut ist. (3.Nephi 27:8)
Nach dieser Regel können wir von einem großen Abfall vom Glauben im Neuen
Testament ausgehen, denn dort schreibt z.B. Paulus an die Kirche Gottes in Korinth
oder die Kirche von Thessalonich.
Der entscheidende Punkt ist jedoch, daß der Titel der Kirche den Namen Christi
seit ihrer Gründung am 6.April 1830 nicht immer beinhaltete. In LuB 20:1
finden wir den anfänglichen Namen: »Die Kirche Christi«. Auf einer
Priestertumskonferenz unter Leitung von Joseph Smith wurde dieser Name am 3.Mai 1834
durch einstimmigen Beschluß in »Die Kirche der Heiligen der letzten Tage«
geändert (siehe HC 2:63). Dies blieb der offizielle Titel der Kirche, bis er
am 26.April 1838 in »Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage«
nochmals geändert wurde.
Apostel LeGrand Richards erklärte, daß der vollständige Abfall der
Christenheit vom Glauben über anderthalbtausend Jahre eine Namensänderung
erforderlich machte. Er sagte, die Bezeichnung Heilige der Letzten Tage
wurde gegeben, um die Mitglieder der Kirche Jesu Christi in unserer Zeit von denen
der von Christus in der Mitte der Zeiten errichteten Kirche zu unterscheiden
(Ein wunderbares Werk und ein Wunder, S.130).
Der BYU-Professor für Religion und Geschichte Richard Lloyd Anderson versuchte,
die Änderung von 1834 zu erklären. In seinem Buch A Sure Foundation
schreibt er: Dieser Wechsel wurde nicht als eine Abwertung Christi gesehen,
sondern wurde in der Hoffnung getan, daß der Name der Kirche den Umstand
deutlicher widerspiegeln würde, daß Christus ihr vorstand (S.195). Wie
die Entfernung Christi Namen aus dem Kirchentitel seine Führungsrolle besser
widerspiegeln könne bleibt sein Geheimnis.
Auf der Annahme, daß die Kirche in den Köpfen vieler Mitglieder
noch immer die Kirche Christi war, obwohl dieser Name aus dem offiziellen Titel
gelöscht wurde, beruht die gesamte Folgerung Dr. Andersons, der Name der
Kirche habe sich nie wirklich geändert. Aber nicht alle stimmen mit dieser
Schlußfolgerung überein, wie dies bei dem Zeugen des Buches Mormon
David Whithmer gesehen werden kann:
Im Juni 1829 gab uns der Herr den Namen, bei dem wir die Kirche nennen
sollten, es war der gleiche, den er den Nephiten gab. Wir befolgten Sein Gebot
und nannten sie bis 1834 die Kirche Christi, als der Kirchenname durch den
Einfluß Sidney Rigdons in »Die Kirche der Heiligen der letzten Tage«
geändert wurde, womit der Name Christi völlig fallengelassen wurde, der
Name, nach dem uns strikt geboten wurde, die Kirche zu nennen ... (An
Address to All Believers in Christ, S.73).
Es wäre für Anderson einfacher gewesen zuzugeben, daß die Kirche
einen großen Teil ihres ersten Jahrzehntes ohne den Namen Christi in ihrem
Titel zubrachte. Ist sie deshalb eine abgefallene Kirche? Antwortet der Mormone
mit nein, so ist auch die Argumentation auf der Grundlage von
3.Nephi 27:8 hinfällig.
Dieser Name sei, fügt Anderson hinzu, beschreibend für göttliche
Wiederherstellung, die auf Jesus als Oberhaupt hinweise. Mit offensichtlichem
Stolz glaubt Anderson, der volle Titel, Die Kirche Jesu Christi der
Heiligen der Letzten Tage, hebt sich deutlich von den Namen Dutzender Kirchen
ab, die ihre Christlichkeit unter der Marke ihrer Gründer oder irgend eines
charakteristischen Glaubens oder einer Eigenheit in der Organisation verschleiern.
(A Sure Foundation, S.196).
Viele Mormonen stimmen mit Anderson überein. Dabei mißverstehen sie den
Grundgedanken sowohl der Christenheit als auch der restlichen Menschheit: die
individuelle Freiheit im Denken. Andererseits kann man kaum zwei Mormonen finden,
die zu wirklich jeder Lehre genau die gleiche Meinung haben. Obwohl sie sich diese
Freiheit nehmen, wollen sie genau diese anderen Menschen nicht zubilligen, weil sie
ein Zeichen für den abgefallenen und verdorbenen Zustand der Welt und insbesondere
der Religionen sei.
So muß sich die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage fragen
lassen, wie lange noch sie ihre Mitglieder ein solches Argument für ihre
Superiorität nutzen lassen will, während sie selbst dieses Merkmal
in ihrer eigenen Existenz nicht immer vorweisen konnte. Sie muß sich auch
fragen lassen, wie lange noch sie ihre Mitglieder über diesen Umstand im
Dunkeln lassen will. Und die Mitglieder, die eine solche Argumentation führen,
müssen sich fragen lassen, wie sie dies trotz der angeführten Fakten mit
ihrem Gewissen vereinbaren können.
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