Orson Hyde – Ein Ruf aus der Wüste (1842)


–   74   –

zu sehen ist, sondern nur von demüthigen Herzen em-
pfunden wird.
      Jene, welche an diesem Sakramente mit Glauben
und Reinheit Theil nehmen, empfangen geistige Kräfte
und göttlichen Trost. Die öftere Wiederholung dieser
göttlichen Anordnung betrachten wir als unausweichlich
nothwendig, um die Kirche im beständigen gesunden Zu-
stande und Wachsthume zu erhalten.
      Doch geistiger Tod trifft jenen, welcher sich diesem
heiligen Mahle mit unreinem Geiste, oder mit Haß
gegen seinen Bruder nähert.

Achter Artikel.
Ueber das Sündenbekenntniß und die Behandlung gesetzwidriger
Glieder.

      Wenn immer ein Glied unserer Kirche sich ein
Vergehen gegen die Regeln derselben, oder ein unmora-
lisches Betragen zu Schulden kommen läßt, so wird von
seiner Seite ein Bekenntniß nothwendig, so wie auch
ein aufrichtiges Versprechen der Besserung, um sein
Recht der Gemeinschaft zu erhalten. War das Vergehen
ein geheimes, so muß er er es im Stillen vor seinem
Gott bekennen, und vor jenen Personen, die dadurch
beleidigt wurden; war aber sein Vergehen ein öffent-
liches, so muß er öffentlich bekennen, oder in die Vorschrif-
ten der Kirche sich zu fügen, so wird sie aus derselben
verwiesen, und ihr Name aus dem Buche gestrichen
werden.
      Die Kirche mit einem vorsitzenden Aeltesten ist ein
befugtes Tribunal, alle Streitigkeiten und Beschwerden,
die sich unter gewöhnlichen Umständen erheben mögen,
auszugleichen. Doch haben wir auch ein höheres Tribu-
nal, vor welchem die wichtigen Fälle verhandelt werden,
und dieß besteht aus zwölf Hohenpriestern, welche alle
Männer von Erfahrung und hohem, moralischen Werthe
–   75   –

sein müssen. Sollten diese Zwölfe in irgend einem
Falle ihre Meinung nicht verläugnen können, so wird
die fragliche Sache dem Präsidenten dieses Rathes vor-
gelegt, der die Gabe der Prophezeihung besitzen muß.
Dieser nun stellt es dem Herrn im feierlichen Gebete
dar, und fleht ihn an um Erleuchtung und Belehrung.
Und das auf diese Art empfangene Wort des Herrn
macht allen Streitigkeiten ein Ende.
      Eine Person, welche von der Gemeinschaft unserer
Kirche ausgeschlossen worden ist, kann nicht eher mehr
in selbe zurückkehren, als bis sie öffentlich ihre Uebel-
thaten bekannt, um derowillen sie verbannt wurde. Dann
muß sie aber wieder getauft und konfirmirt werden, ehe
sie wieder als theilnehmendes Glied anerkannt werden
kann.

Neunter Artikel.
Behandlung der Kinder in Bezug auf die Kirche.

      Es ist eine unerläßliche Pflicht der Eltern, die ih-
nen die strengsten Bande der Natur und durch
das ausdrückliche Wort des Herrn auferlegt worden ist,
ihre Kinder in Tugend und Gerechtigkeit zu erziehen,
und ihren zarten Gemüthern die wahren Grundsätze der
Frömmigkeit und Religion einzuflößen. Alle Eltern
in unserer Kirche, welche diese Pflichten an ihren Kin-
dern vernachlässigen, sind als gesetzwidrige Glieder be-
trachtet und werden demgemäß ermahnt und behandelt.
      Alle Kinder, welche gehörig erzogen und unterrich-
tet worden sind, und so ihr achtes Jahr erreicht haben,
werden zu dieser Zeit betrachtet, daß sie zur Kenntniß
des Guten und Bösen gelangt sind, und daher fähig
sind, Glauben auszuüben, so wie auch Reue über ihre
Sünden. Deßhalb werden sie in diesem Alter getauft,
und als Glieder der Kirche konfirmirt; nicht eher.
      Alle jene Kinder, welche unter acht Jahren alt
sind, und dessen Eltern zu unserer Gemeinde gehören,
müssen zu unserer Kirche gebracht werden, wo ihnen die
–   76   –

Aeltesten die Hände auflegen und sie segnen im Namen
des Herrn, und sie weihen dem Dienste des Allerhöch-
sten. (Aber kein Besprengen mit Wasser findet statt.)
      Da die Kreatur nur für jene wirklichen Uebertre-
tungen verantwortlich geachtet wird, die sie selbst began-
gen, und da Sünde nur da beigemessen wird, wo ein
Gesetz gegeben wurde – so hat ein kleines gedankenloses
Kind, das für kein Gesetz empfänglich ist, durch das
Verdienst des Todes unsers Erlösers vollen Anspruch
auf Unsterblichkeit, und auf ewiges Leben, (»denn für
solche, sagt Christus, ist das Himmelreich.) Und dieses
Recht kann nur durch die Uebertretung eines gekannten
Gesetzes verwirkt werden, wenn sie die Jahre der Ver-
nunft erreicht haben, und eine solche Uebertretung des
genannten Gesetzes macht Reue und Taufe nothwendig
zur Nachlassung der Sünden.

Zehnter Artikel.
Ueber die Offenbarungen und Befehle, welche Gott seiner Kirche
gab, seit sie organisirt wurde. (1830.)

      Die Ideen, daß der Herr in jetzigen Zeiten seinem
Volke eine Offenbarung oder Befehl gegeben hat, ist
von dem Glauben des größten Theils der religiösen Welt
so weit entfernt, als Loth von Sodoma an ihrem bösen
Tag war. Doch wir haben längst erfahren, daß die
Ungläubigkeit einer umnachteten Welt uns zu keinem
Führer dienen kann, und da wir mit ihr nicht die gleiche
Meinung haben, so werden wir von ihr als Betrüger,
Heuchler und Gotteslästerer betrachtet. Und unter die-
sen Vorurtheile hatten wir nicht nur allein die Falsch-
heit und den Mißbrauch ihrer Zungen; sondern auch
ihre Marterwerkzeuge und Grausamkeiten, ja selbst den
Tod zu erdulden. Das Blut unserer Martyrer dampft von
dem Opfer-Altare zum Himmel empor und verfechtet
dort vor dem Richterstuhl der Gnade mit so Mächtiger
Beredsamkeit unsere Sache, daß Jehova's Mitgefühl er-
–   77   –

weckt wird, und Er Licht und Erkenntniß auf uns he-
rab sendet, gleich erquickenden Schauern, ja gleich bal-
samischem Thaue.
      Seit der Organisation unserer Kirche hat es dem
Herrn gefallen, uns verschiedene Offenbarungen und Be-
fehle durch sein heiliges Priesterthum zu geben, wodurch
uns viele Stellen in den Schriften angezeigt und klar
wurden, die früher dunkel und geheimnißvoll für uns
waren. Kurz es scheint, daß der Finger göttlicher Ein-
gebungen jede dunkle Stelle in der Bibel berührt habe,
damit die Wahrheit derselben in unsere Herzen leuchte
gleich dem erhellenden Glanze einer Lampe an dunklem
Orte.
      Ich kann nicht unterlassen, hier eine Bemerkung
über die Verschiedenheit des Volkes Gottes in früheren
Tagen, und über die Verschiedenheit derjenigen zu ma-
chen, die sich in heutigen Tagen sein Volk nennen. In
den alten Tagen betrachteten diese ihren Zustand höchst
beklagenswerth, wenn der Herr nicht zu ihnen redete, in
den heutigen Tagen aber gilt es ihnen als höchste An-
massung oder Narrheit, selbst auch nur die Möglichkeit
anzunehmen, daß der Herr wieder einmal zu ihnen spre-
chen wolle. Die Alten blickten auf Träume, Prophe-
zeihungen und Visionen, gleichwie eine Dame auf ihre
Diamanten blickt; doch unsere Modernen betrachten solche
Begünstigungen, gleich wie ein Schwein auf eine Perle
sieht. Hätte ich nicht zu oft erfahren, wie häufig man
geneigt ist, solche Dinge mit Füßen zu treten, so würde
ich es nicht gewagt haben, so zu sprechen, als ich that.
Und wäre es dem lichten Seraphen gegeben, die dem
Throne des Höchsten sich nähern, und sich in dem Strahle
der Unsterblichkeit sonnen, über den Mangel des Glau-
bens, und über die Unvernunft der Sterblichen zu wei-
nen, so müßte die Erde mit himmlischen Thränen be-
thauet werden.
      Wir glauben an Prophezeihungen, wir glauben an
Offenbarungen; denn nicht allein den Alten waren sie
gegeben, sondern auch uns. Wir glauben an Visionen,

      Hier sei auf den Fünften Artikel hingewiesen, wo noch von einer notwendigen Selbsterkenntnis der Sünden als Voraussetzung für die Taufe gesprochen wird.


zurück
mormonentum.de