Orson Hyde – Ein Ruf aus der Wüste (1842)


      Für die in diesem Buch aufgeführten Lehren sollte man die Tatsache beachten, daß die grundlegende geschichtliche Darstellung bis 1842 bereits weitgehend entwickelt war und zu dieser Zeit der Bericht der ersten Vision in heutiger Darstellung zum ersten Mal veröffentlicht wurde. Natürlich muß man darauf Rücksicht nehmen, daß Hyde zu diesem Zeitpunkt bereits seit einigen Jahren nicht mehr in Amerika war und nur durch Briefe informiert wurde, obgleich Hyde vom Beginn der Kirche an mit Joseph Smith zusammen war, als Sekretär der Ersten Präsidentschaft und Apostel diente, also immer bestens informiert war. Außerdem schrieb der dieses Buch als ein Apostel, so daß es von jedem aufrichtigen Mitglied als inspiriert betrachtet werden wird. Von besonderem Interesse werden also die Unterschiede zur heutigen Lehre der Kirche sein, obwohl es sich hier, wie bereits erwähnt, um eine relativ späte und daher bereits angepaßte Berichterstattung handelt.

Ein
Ruf aus der Wüste,
eine
Stimme aus dem Schoose der Erde.

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Kurzer Ueberblick
des Ursprungs und der Lehre der Kirche „Jesus Christ
of Latter Day Saints“
in Amerika, gekannt von
Manchen unter der Benennung: »Die Mormonen.«

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Von
Orson Hyde,
Priester dieser Kirche.



Lese, betrachte, bete und handle !       


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Frankfurt, 1842.
Im Selbstverlage des Verfassers.

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V o r r e d e

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      Das heftige Verlangen, welches der Verfasser
dieses Werkchens hegt, sich einer Verpflichtung zu
entledigen, unter welche er sich durch eine mehr
als menschliche Gewalt gebracht fühlt, so wie auch
die herzliche Sorgfalt, womit er seine Mitmenschen
durch die Kundgabe jener Wahrheiten zu beglücken
wünscht, die sein eigenes Herz mit unaussprech-
licher Freude füllen – dieß veranlaßte ihn, dem
deutschen Volke nachstehenden, kleinen Band mit
Wärme anzuempfehlen, damit er mit jenem In-
teresse aufgenommen werden möchte, welches der
Wichtigkeit des behandelten Gegenstandes angemes-
sen ist.
      Wenn im Laufe menschlicher Ereignisse es
uns durch Anordnung göttlicher Vorsehung zur
Pflicht gemacht wird, jene merkwürdigen Begeben-
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heiten aufzuzeichnen, die da geignet sind, eine neue
Aera zu bilden, den Grund zur Erneuerung einer
geistigen Welt, so wie zur Zerstörung der Tyrannei
und Unterdrückung zu legen, um das ruhmvolle
Reich des Friedens-Fürsten befördern zu helfen –
dann füllen sich die Gemüther mit Staunen und
Verwunderung.
      Die tausendjährige Kirche Christi ist in den
vereinigten Staaten Amerika's durch unmittelbares
Wirken der göttlichen Vorsehung gestiftet worden,
indem er Seinen heiligen Engel sandte, um den
Völkern die wahren Grundlehren seiner Kirche an-
zuzeigen, die in den letzten Zeiten wieder hergestellt
werden sollte, zur Vorbereitung der zweiten An-
kunft Christi in diese Welt.
      Der Autor dieses kleinen Werkes ist ein Ame-
rikaner bei Geburt, und ein Priester dieser Kirche
seit eilf Jahren; beinahe seit dem Anfange ihrer
Organisation. Dieselbe begann den 1. April 1830
in der Stadt Manchestre, Grafschaft Ontario, in
dem Staate New-York, bestehend in sechs Glie-
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dern. Doch sehr bald wuchs sie zu Hunderten
und Tausenden an. Als es zur bessern Organi-
sation vorschritt, gab es unter ihnen Propheten
und Apostel, genannt, von Gott. Diese wurden
zu hohen, verantwortlichen Posten ordinirt, und
mit dem heiligen Oele gesalbt.
      Die Schnelligkeit, mit welcher sich diese Lehren
über Amerika und England seit ihrer Kundmach-
ung, obgleich unter den ungünstigsten Umständen,
verbreiteten, bezeugt: daß in ihnen eine Macht
und Gewalt verborgen liegt, die sie der Aufmerk-
samkeit eines denkenden Volkes würdig erklärt.
      Die Zahl der Verbrüderten in den zwei Län-
dern reicht an 80,000 hinauf.
      Die Bestimmung dieses kleinen Werkes ist des-
halb, die besonderen Grundsätze und Lehren unsrer
Kirche auseinanderzusetzen, die den Namen führt:
„The Church of Jesus Christ of Latter Day Saints“
      Seit dem Entstehen dieser Kirche hatten wir
uns durch Widerwärtigkeiten ernsthafter Art hin-
durch zu kämpfen. Die lästernde Zunge der Ver-
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läumdung und Falschheit hatte sich gegen uns
gekehrt, und Kanzel und Presse warfen mit frei-
gebiger Hand Steine des Anstoßes in unsere Wege.
Jedoch wäre es nur bei diesem geblieben, so hät-
ten wir wenig Grund zu klagen. Allein unsere
Feinde, sehend, daß moralische Kraft nicht aus-
reichend war, die raschen Fortschritte unserer Lehre
zu hemmen, griffen nach anderen Mitteln, und ihre
eigene Sprache war: „Laßt uns ihnen mit Argu-
menten vom blutigen Stahle entgegen treten!“
Und sie fielen über uns her, das Schwert in der
Hand. Sie brannten viele unserer Häuser nieder,
zerstörten unsere Felder, tödteten unser Vieh und
erschossen mit kaltem Vorsatze beiläufig dreißig
unserer Brüder, wovon viele derselben Priester wa-
ren; oder verwundeten sie elendiglich, selbst dann,
wenn sie keinen Widerstand leisteten.
      Als einen Amerikaner schmerzt es mich, solche
Brutalität von meinen Landsleuten bekennen zu
müssen, allein ein ewiges Walten, das die Interessen
aller Vöker in einander menget, fordert das Opfer
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jeder lokalen Anhänglichkeit, und das laute Bekennt-
niß der Wahrheit zur Warnung für alle Völker,
damit sie sich hüten sollen, nie die Urheber solchen
Elendes zu werden.
      In diesem Sturme der Verfolgung, welcher in
dem Winter 1838–39 über uns hereinbrach, wur-
den beinahe zweihundert Heilige in's Gefängniß ge-
schleppt. Einige erhielten ihre Freiheit nach wenigen
Tagen; andere schmachteten drei oder vier Wochen,
und wieder andere lagen sogar in Ketten wohl ein
halbes Jahr; worauf sie aber dennoch in Freiheit
gesetzt wurden, obgleich ihre Feinde ihre Richter
waren.
      Beiläufig 12,000 Seelen wurden verbannt in
kalter Winterszeit, und ihre Häuser, Güter, Gründe
&c. &c. ihren Feinden zum Raube überlassen.
      Dieß alles fand statt unter dem Schutze eines
Unter-Gouverneurs, dessen ganze Verfahrensart
im geraden Widerspruche mit den Gesetzen des Landes
stand; allein er fürchtete in uns eine rivalisirende
Macht.
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      Die Sache ist nun vor den Amerikanischen
Kongreß gebracht, und es ist zu hoffen, daß den
Nachtheilen und Kränkungen eines leidenden, un-
schuldigen Volkes auf eine geeignete Art abgeholfen
werden wird, durch diese ehrenvolle Versammlung.
      So mußten wir denn hindurchgehen durch Be-
trübnisse und Demüthigungen der schmerzlichsten
Art; jedoch gleich der jungen, zarten Mutter, deren
Liebe zu ihrem Neugebornen um so grösser ist, je
mehr Schmerz sie bei seiner Geburt auszustehen
hatte, so ist auch unsere Liebe für unsere Religion
gestärkt durch die grausame Hand der Verfolgung,
welche Verbannung, Kerker und Tod über uns
verhängte.
      Diese haben uns jedoch nicht mehr gethan,
als unserm Herrn und Meister, und den Heiligen
der frühern Tage, und wenn wir gleich diesen lei-
den in dieser Welt, so hoffen wir auch mit ihnen
verherrlicht zu werden in jenem Lande, das ausser
dem Bereiche der Unterdrücker liegt.
      Der Leser wird deßhalb ernstlich ermahnt, die-
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ses kleine Werk mit Sorgfalt und Aufmerksamkeit
zu lesen. Keiner möge voreilig über seinen In-
halt richten, oder ihn verdammen; sondern vielmehr
in seiner Seele Innerstem zu Gott beten mit ver-
langendem Herzen, im Namen seines heiligen Kin-
des Jesu, damit Licht und Erkenntniß, Freude und
Fröhlichkeit auf ihn herabsteige, um seinen Geist
zu beleben und seine frommen Wünsche zu erhören.
      Wie willkommen sind uns nicht die Strahlen
des Morgens nach den dunklen Schatten einer
Nacht? So mögen wir auch gleichsam fühlen nach
einer langen, einsamen Nacht geistiger Finsterniß,
unter welcher die rollende Erde und ihre Bewohner
so manches Jahrhundert seufzten.
      Ein Engel, ja ein Engel gesandt von dem
Allmächtigen, stieg herab um den Schleier der
Dunkelheit von dem Verstande einiger hinweg zu
heben, um sie empfänglich zu machen für die
Lichtstrahlen der Wahrheit, die da die Herzen so
Vieler erwärmen und erfreuen. Willkommen, ja
willkommen du Bote des Himmels, und dreimal
willkommen die Botschaft, die du uns gebracht.

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      O gütigster Vater! Ich bitte dich im Namen
deines heiligen Kindes Jesu, segne die schwache
Bemühung deines Dieners; und wohin immer
dieses Büchlein gehen mag, laß es ein Bote der
Ueberzeugung sein für die Bösen, und ein Vor-
läufer des Friedens für die Gerechten. Laß seinen
Inhalt von günstigen Winden hingetragen werden
bis an die fernsten Gränzen und laß seinen Ein-
fluß auf den reichen und fruchtbaren Boden de-
müthiger und rechtschaffener Herzen gedeihen, sprossen
und Früchte tragen bis in das ewige Leben fort.
      Wandre nun hinaus du kleines Buch, der
Herr wird deine Wege beschleunigen. Bekämpfe
die Vorurtheile, die gegen dich aufstehen werden,
nimm deine Feinde gefangen, zieh' ein mit deinen
Tugenden in die Herzen der Völker, und laß deine
Grundsätze dort thronen für immer.

        Frankfurt, im August 1842.

Der Verfasser.    
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Erklärung.

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      Da eine buchstäbliche Uebersetzung des Titels un-
serer Kirche in's Deutsche eine zu grosse Idee von Hei-
ligkeit geben würde, als wir in Anspruch nehmen, so
habe ich es geeigneter gefunden, ihn in seinem Ursprunge,
in englischer Sprache zu lassen, da ich nicht berechtigt
bin, denselben auch nur im Geringsten zu ändern.
Unter diesem Titel:
„The church of Jesus Christ of Latter Day Saints“
verstehen wir eine Gesellschaft, verbunden durch religiöse
Verhältnisse, welche sich durch Eifer und Frömmigkeit
auszeichnet. Und diese zusammen sind denn genannt:
»Die Heiligen unsers Herrn Jesu Christi in diesen
letzteren Tagen.«
      Ich finde, daß in Deutschland und in manchen
andern Ländern die Benennung »die Heiligen« nur
sehr wenigen Personen beigelegt wird, und zwar erst
nach ihrem Tode, wo man ihnen, nachdem sie zu die-
sem Range gelangt sind, Gebete weiht, und sie als
Patrone und Vermittler anruft. Da die heilige Schrift
über diesen Gebrauch gänzlich schweigt und wir auch in
Beziehung dessen keine glaubwürdige Belehrung erhalten

     Dieses Vorwort appelliert mehr an das Mitleid eines Menschen, als es das Interesse an der Religion selbst weckt. Hyde argumentiert erstaunlich einseitig. Man bekommt den Eindruck, die Menschen hätten völlig grundlos gehandelt. Aber auch sie hatten ihre Gründe. Die Ungerechtigkeiten, die damals stattgefunden haben, sollen hier keinesfalls abgeschwächt oder entschuldigt werden. Allerdings hatten die Heiligen schon immer die Fähigkeit, ein nachbarschaftliches Verhältnis zu zerstören. Sie wurden überall verstoßen, selbst in Illinois, zu einer Zeit, nachdem dieses Buch geschrieben wurde. Informationen über das anfängliche Nachbarschaftsverhältnis findet man am Ende des Buches.

      Die angedeuteten (markierten) Lehren sind bereits sehr aufschlußreich, da man entsprechend der heutigen Lehre annehmen sollte, daß die erste Vision im Mittelpunkt des Interesses steht. Wäre es so, stellte sich die Frage, warum Hyde immer von einem Engel des Herrn spricht. Obwohl es aus heutiger Sicht nicht einleuchtet, weshalb irgend etwas wichtiger als die erste Vision sein sollte, werden Mitglieder dennoch eher dazu tendieren, diese Stellen mit den Besuchen des Engels Moroni zu verbinden. Dieser hat zwar den Schleier der Dunkelheit nicht durchbrochen, was ja Aufgabe der ersten Vision gewesen sein soll, aber es ergeben sich dennoch weniger Widersprüche. Man könnte sich fragen, warum der Name des Engels nicht genannt wird, wo doch heute alles so klar berichtet wird. Halten wir uns aber vor Augen, daß die Geschichte der Wiederherstellung in jenen Jahren mehrmals geändert wurde und Hyde in der Ferne gar nichts anderes übrig blieb, als den Bericht allgemein zu halten, um nicht zufällig der aktuellen Version zu widersprechen. Diesem Problem werden wir im Buch noch mehrmals begegnen, und Hyde behalf sich jedes Mal auf die gleiche Weise, obwohl wir zu seinen Gunsten einräumen müssen, daß in den ersten Jahren der Kirche die Namen der Engel bei Erscheinungen ganz allgemein keine große Rolle spielten.


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